Das Lesen ist eine komplexe kognitive Tätigkeit, die das Dekodieren von geschriebenen Symbolen und das Verstehen der Bedeutung dieser Symbole umfasst. Es erfordert die Zusammenarbeit mehrerer kognitiver Prozesse, um die Wörter zu erkennen, zu interpretieren und ihnen eine Bedeutung zuzuordnen.

Beim Lesen betrachten wir die geschriebenen Buchstaben und Wörter und nehmen sie visuell wahr. Unser visuelles System erfasst die Form und Anordnung der Buchstaben und ermöglicht es uns, sie zu erkennen. Nachdem wir die geschriebenen Buchstaben wahrgenommen haben, müssen wir sie identifizieren und mit unserem Wissen über die Buchstaben-Laut-Zuordnung in Verbindung bringen. Dieser Prozess der Buchstabenzuordnung ermöglicht es uns, das Gehörte oder das Gelesene zu erschließen.
Sobald wir Einsichten in die Buchstaben-Laut-Beziehungen gewonnen haben, setzen wir die Laute zu Wörtern zusammen. Unser mentales Lexikon hilft uns die Lautkombinationen mit Wörtern zu assoziieren, die wir bereits kennen.
Beim Lesen von Sätzen und Texten geht es nicht nur um die Bedeutung einzelner Wörter, sondern auch um das Verständnis der Beziehungen zwischen den Wörtern. Wir analysieren die Grammatik, die Syntax und den Kontext, um die Bedeutung von Sätzen zu erfassen und den
Zusammenhang zwischen den Informationen herzustellen. Dabei spielt unser Weltwissen eine wichtige Rolle, denn es steuert das Leseverständnis mit.
Wir machen beim Lesen oft (unbewusst) Schlussfolgerungen und Vorhersagen (Inferenzen) über den Text. Wir nutzen unser Weltwissen, um fehlende Informationen zu ergänzen und die Absichten des Autors zu verstehen.
Das Lesen ist also eine komplexe kognitive Tätigkeit, die die Zusammenarbeit verschiedener kognitiver Prozesse erfordert, wie zum Beispiel die visuelle Wahrnehmung, das Erkennen von Buchstaben-Laut-Beziehungen, das Satzverständnis und das Zwischen-den-Zeilen-Lesen. Durch diese Prozesse können wir Buchstaben und Wörter in Bedeutung umwandeln und den Inhalt von Texten verstehen.
Quelle:
Dehaene, S. (2012): Lesen. Die größte Erfindung der Menschheit und was dabei in unseren Köpfen passiert. München: btb.